Kein Mangel ohne Fleisch.

Vegetarische Ernährung liegt im Trend – ist sie aber auch für Kinder gesund? Ein Gespräch mit der Ernährungswissenschaftlerin Prof. Dr. Mathilde Kersting über den Bedarf an Nährstoffen und Ernährungsalternativen bei Kindern.

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Vegetarisch ist gesund. Das ist mittlerweile in weiten Teilen der Bevölkerung unbestritten – sogar bei jenen, die nicht auf Steak und Wurst verzichten möchten. Bei der Frage, ob dies auch für Kinder gilt, sind aber viele Eltern noch immer sehr unsicher. Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts ernähren sich in Deutschland nur drei Prozent der Kinder unter 18 Jahren fleischlos. Viele Eltern befürchten eine unzureichende Versorgung mit wichtigen Nährstoffen, wenn Braten oder Schnitzel auf dem Teller fehlen. Ob diese Sorge berechtigt ist, fragten wir Prof. Dr. Mathilde Kersting, Leiterin des Forschungsinstituts für Kinderernährung in Dortmund. „Richtig zusammengestellt versorgt eine vegetarische Ernährung auch Kinder mit allen nötigen Nährstoffen. Kritisch ist nur die Phase zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat. In dieser Hauptwachstumsperiode ist der Nährstoffbedarf sehr groß und wir haben Zweifel, ob man den auch ohne Fleisch decken kann“, betont Prof. Kersting.

In Studien wurden bei Schulkindern, die sich vegetarisch ernähren, zu niedrige Eisen- und Zinkwerte im Blut nachgewiesen. Gerade der niedrige Eisengehalt sei schon immer das Hauptargument gegen eine fleischlose Ernährung, so Kersting. Aber schon vor vielen Jahren konnte die ernährungsphysiologische Forschung zeigen, dass es auch eisenreiche Pflanzennahrung gibt. Durch die Kombination mit Vitamin C könne man die Verfügbarkeit des pflanzlichen Eisens für den Körper verbessern, beispielsweise indem man Hülsenfrüchte oder Vollkornprodukte mit Obst kombiniere. „Problematisch sehe ich eher, dass viele Eltern die Bedeutung von Milch überschätzen. Aber Milch ist für Kinder definitiv kein Fleischersatz, ganz im Gegenteil: Sie enthält sehr wenig Eisen und erschwert im Körper sogar noch dessen Aufnahme“, sagt Prof. Kersting.

Spätestens an dieser Stelle versteht man, was Mathilde Kersting damit meint, „dass es besonderer Lebensmittelkenntnisse bedarf, um eine vegetarische Ernährung risikoarm zu gestalten“. Angesichts der Realitäten im Angebot der hiesigen Schulspeisungen und anderer institutioneller Essensausgaben stellt sich darüber hinaus auch schnell die Frage, wie praktikabel eine vegetarische Ernährung bei Kindern im Alltag überhaupt ist. Vor allem dann, wenn man nicht für alle Mahlzeiten selbst am Herd steht möchte oder abends Zeit und Energie nur noch für ein Fertiggericht reichen.

Prof. Kersting ist jedoch überzeugt, dass eine gesunde vegetarische Ernährung bei Kindern in der Praxis nicht an diesen Umständen scheitern sollte, denn große Einrichtungen bieten heute vielfach vegetarische Menüs an. Wenn nicht, könne man ganz pragmatisch anstelle von Fleisch die Portion Gemüse, Kartoffeln, Reis oder Nudeln vergrößern. Und es gebe auch längst vegetarische Fertig-Pizzas, die allerdings oft so viel Käse enthielten, dass man auf den Kaloriengehalt achten müsse.

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Aber dann sind wir doch wieder beim Fast Food! Wie passt das zu einer vegetarischen Ernährung? Untersuchungen in Schweden und Norwegen zeigen zum Beispiel, dass vegetarisch lebende Schüler dort genauso viel Fast Food, Süßigkeiten und Alkohol konsumieren wie ihre nicht vegetarischen Altersgenossen. Führt das die vegetarische Ernährung nicht ad absurdum? „Natürlich. Daher mahnen wir auch, dass eine Umstellung der Ernährung auch den Lebensstil betrifft. Kein Fleisch und dafür weiter Süßigkeiten und Fast Food zu essen, schadet dem Körper. Außerdem raten wir Eltern, dass Kinder sich nicht vegan ernähren sollten, was leicht passieren kann. Dann wird es mit der Nährstoffversorgung wirklich kritisch“, betont Kersting.

„Bei einer veganen Ernährung fehlt dem Körper oft Eisen. Außerdem deuten viele Studien und unsere eigenen Nährstoffberechnungen auf eine Mangelversorgung mit Vitamin B12, Vitamin D und auch Jod hin.“

Das Problem könne man mit Nahrungsergänzungen lösen, gerade bei Kindern. „Vitamin B12 ist in pflanzlichen Lebensmitteln gar nicht enthalten, auch bei Jod, Vitamin D und den für die Gehirnentwicklung wichtigen langkettigen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die sogenannten LCPs, rate ich zu einer ergänzenden Einnahme. Diese Nahrungsergänzungen sollten stets mit dem Kinderarzt besprochen werden“, rät Prof. Kersting.

Prof. Dr. Mathilde Kersting ist stellvertretende Leiterin des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE) in Dortmund. Das Institut empfiehlt eine Mischkost, die auch Fleisch und Süßigkeiten beinhaltet, allerdings in stark begrenzten Mengen. Als Ernährung zweiter Wahl gilt die vegetarische Option.

Pflanzliche Eisenlieferanten:
Vollkorngetreide (Hafer, Weizen, Roggen), Hülsenfrüchte, Nüsse, Ölsamen, Soja; immer in Kombination mit Vitamin C.
Tipp: Müsli besser mit Saft statt Milch zubereiten.

Anteil der Vegetarier unter 18 Jahren in Deutschland: 3%
Anteil der Vegetarier im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland: 6%
Anstieg der erwachsenen Vegetarier in Deutschland zwischen 2007 und 2013: 100%
Anteil der erwachsenen Vegetarier 2013 in Deutschland: 3,7%
Davon Frauen: 2/3
Anteil der Kinder unter 18 Jahren, die nicht täglich Obst und Gemüse essen: 50%
Anteil der Kinder, die täglich Süßigkeiten essen: 20%

Vorteile vegetarische Ernährung bei Kindern:
Verringerung des späteren Risikos für Übergewicht und andere ernährungsbedingte Krankheiten
Bessere Vitamin-, Ballaststoff- und Mineralienversorgung als bei „Fleischessern“
Meist gesündere Lebensführung (die allerdings den Nachweis gesundheitlicher Vorteile der vegetarischen Ernährung erschwert.)