Sind Kinder heute weniger fit als früher?

Dass die Sportlichkeit von Kindern immer mehr abnimmt, wird oft behauptet. Neue Studien scheinen diese Annahme nun empirisch zu bestätigen.

Der Unterschied beträgt eine Minute und 30 Sekunden. Mit diesem Rückstand kämen heutige Kinder ins Ziel, würden sie gegen den Nachwuchs von vor 30 Jahren über die Distanz von einer Meile antreten. Der Abstand von 90 Sekunden bedeutet auf dieser Strecke – umgerechnet sind es 1600 Meter – eine deutliche Niederlage. Die Kinder von heute laufen der Fitness vorheriger Generationen hinterher.
Wie immer stimmen diese statistischen Aussagen für den Durchschnitt aller Kinder und damit für wenige auch nicht, für die meisten aber doch. Der wissenschaftliche Aufwand, der hinter diesen Resultaten steht, ist auf jeden Fall sehr sportlich: Dr. Grant Tomkinson, Sportwissenschaftler an der University of South Australia wertete für die zugrunde liegende Studie mehr als 25 Millionen Datensätze zu den Ausdauerleistungen von Kindern und Teenagern in 50 Ländern aus. Einige dieser Aufzeichnungen der Laufzeiten stammen sogar aus Japan und reichen bis in das Jahr 1964 zurück.

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Welche Fitness ist die beste?

Diskussionen, ob Kinder früher sportlicher waren, erlebte Grant Tomkinson in seiner Heimat Australien häufig. Sie waren dann auch der Ausgangspunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit: „Jeder hatte dazu eine Meinung, aber es gab kaum empirisch belastbare Daten.“ Diese zu erheben versuchte der Sportwissenschaftler erstmals im Rahmen seiner Doktorarbeit zu Beginn des Jahrtausends als er die Fitness von Kindern und Jugendlichen in Australien und Neuseeland in den Jahren von 1950 bis 2000 verglich.
Für internationale Aufmerksamkeit sorgten dann die Ergebnisse, die er im Jahr 2013 auf einem Kongress der American Heart Association in den USA präsentierte: Die bereits genannten 90 Sekunden zeitlicher Abstand auf der Strecke von einer Meile gingen um die ganze Welt. „Das Echo auf unsere Arbeit war enorm“, erinnert sich Tomkinson. „Ausländische Medien, aber auch Politiker und Pädagogen aus meiner Heimat interessierten sich plötzlich für unsere Arbeit. Tomkinsons Analyse der weltweiten Ausdauerleistungen von Kindern untermauerte erstmals empirisch die bisherigen Annahmen zur abnehmenden Fitness von Kindern: Sie sind heute bis zu 15% weniger fit als die Generation ihrer Eltern im gleichen Alter.

Diskussionen, ob Kinder früher sportlicher waren, erlebte Grant Tomkinson in seiner Heimat Australien häufig. Sie waren dann auch der Ausgangspunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit: „Jeder hatte dazu eine Meinung, aber es gab kaum empirisch belastbare Daten.“ Diese zu erheben versuchte der Sportwissenschaftler erstmals im Rahmen seiner Doktorarbeit zu Beginn des Jahrtausends als er die Fitness von Kindern und Jugendlichen in Australien und Neuseeland in den Jahren von 1950 bis 2000 verglich.

Für internationale Aufmerksamkeit sorgten dann die Ergebnisse, die er im Jahr 2013 auf einem Kongress der American Heart Association in den USA präsentierte: Die bereits genannten 90 Sekunden zeitlicher Abstand auf der Strecke von einer Meile gingen um die ganze Welt. „Das Echo auf unsere Arbeit war enorm“, erinnert sich Tomkinson. „Ausländische Medien, aber auch Politiker und Pädagogen aus meiner Heimat interessierten sich plötzlich für unsere Arbeit. Tomkinsons Analyse der weltweiten Ausdauerleistungen von Kindern untermauerte erstmals empirisch die bisherigen Annahmen zur abnehmenden Fitness von Kindern: Sie sind heute bis zu 15% weniger fit als die Generation ihrer Eltern im gleichen Alter.

Was sind die Ursachen?

Dieser Befund wirft Fragen auf, vor allem die nach den Ursachen. Tomkinson nennt zunächst die naheliegenden: „Für 30 bis 60% der Kinder könnte der allgemeine Anstieg des Körpergewichts eine Rolle spielen. Wobei wir aber wissenschaftlich bisher nicht belegen können, ob die Zunahme des Körperfetts Ursache oder vielleicht nur Auswirkung der mangelnden Fitness ist.“
Aber auch die veränderten Lebenswelten spielen eine Rolle. Kinder bewegen sich weniger häufig, schon deshalb, weil aktive Formen der Fortbewegung immer seltener werden. Der Weg zur Schule etwa: Dieser verlangte von der heutigen Elterngeneration oft noch tägliche Fußmärsche oder Radfahrten von teils beträchtlichen Umfängen. Heute fahren Eltern die Kinder mit dem Auto, es kommt der Schulbus oder der gut ausgebaute Nahverkehr übernimmt den Transport. Aus Kenia gibt es eine Studie, die einen Zusammenhang mit der Einführung von Schulbussen in den ländlichen Regionen und einem Rückgang der sportlichen Erfolge kenianischer Athleten nachweist. Basis der vielen Olympiamedaillen dieser Läufernation waren demnach auch die langen Schulwege, die mit Strecken von mehr als 20 Kilometern die ersten und vielleicht besten Trainingseinheiten für künftige Leistungssportler boten.

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Zu wenig Sport in der Schule

Der Rostocker Sportlehrer Ole Wagner führt die abnehmende Fitness auch auf die Reduzierung des Sportunterrichts in den Schulen zurück. Seit Beginn der 1990er Jahre unterrichtet er, zudem arbeitet er als Jugendtrainer beim örtlichen Fußballverein Hansa Rostock. „Als ich mit meiner Lehrertätigkeit begann, gab es noch bis zu fünf Wochenstunden Sport, heute ist es nur noch eine Doppelstunde.“
Bereits in der Haltung der heutigen Kinder beobachtet er Unterschiede: „Sie sind weniger aufrecht, es fehlt die Körperspannung.“ Die motorischen Fähigkeiten haben abgenommen, eine Rolle vorwärts ist längst nicht mehr von jedem Fünftklässler zu erwarten. „Daher nehmen auch die Verletzungen zu, weil vielen Kindern die Körperkontrolle fehlt.“ Vor allem im Ausdauerbereich gehen die Leistungen auf breiter Linie zurück, einfach weil die Zeit fehlt, dies zu trainieren. „Bei einer Einheit Sport in der Woche gelingt kein Ausdauertraining, da geht es nur um Spaß, die allgemeine Beweglichkeit und Kräftigung.“

Grant Tomkinson bestätigt diese Beobachtungen. Sein Ansatz für mehr Fitness fängt daher auch im Alltag der Kinder an. Er empfiehlt die 60-Minuten-Regel: „Jeden Tag eine Stunde aktive Bewegung – laufen, gehen, schwimmen oder toben reicht aus, um gesundheitliche Verbesserungen jetzt und später im Alter zu erzielen.“ Besonders gut seien Bewegungen, die große Muskelgruppen beanspruchen und die Kinder sprichwörtlich aus der Puste bringen, wie etwa beim Schwimmen oder Toben. Gerade freie und spielerische Formen der körperlichen Aktivität hält Tomkinson für ideal: „Beim gemeinsamen Spielen und Streunen an der frischen Luft strengen sich Kinder oft unbewusst mehr an als beim institutionalisierten Sport im Verein.“
Es geht also um 60 Minuten Bewegung am Tag, die die Gesundheit bis ins Alter signifikant verbessern würden. Nach einer Studie des Robert-Koch-Instituts schafft das in Deutschland derzeit aber nicht einmal jedes dritte Kind zwischen 11 und 17 Jahren (28,2%). Einen Athleten zu erziehen, das müssen Eltern hingegen nicht versuchen. Bis zum Ende des Grundschulalters rät Tomkinson sogar zur Gelassenheit in Fitnessfragen. „In diesem Lebensabschnitt geht es darum, den Spaß an der Bewegung zu vermitteln, die wichtigsten motorischen Fähigkeiten wie Werfen, Fangen, Springen oder Rollen zu entwickeln. Wichtig und ernst zu nehmen danach sei die Ausdauer: „Die Ausdauer-Fitness beeinflusst die heutige und auch die Gesundheit im Erwachsenenalter mit Abstand am meisten.“ Jede körperlich aktive Beschäftigung im Kindesalter ist auch ein Dienst an der Gesundheit von morgen. Gute Ausdauer-Fitness bei Teenagern korreliert beispielsweise mit einer verminderten Anfälligkeit für Herzinfarkte, Bluthochdruck oder Diabetes im Alter. Die verbreitete Annahme, der Fitness-Rückgang sei ein Wohlstandsproblem, konnte Tomkinson auch widerlegen. Die Umfragen in den mehr als 50 Ländern zeigen, dass Kinder in armen wie reichen Staaten gleichermaßen betroffen sind. „In wirtschaftlich schwächeren Ländern setzt diese Entwicklung nur später ein, führt aber zum gleichen Ergebnis.“ Immerhin einen Pluspunkt gibt es aber für die heutige Nachwuchsgeneration: In puncto Muskelkraft liegen die Kinder gleichauf oder sogar vorn. Leider wirkt sich Kraft allein aber kaum auf die allgemeine Gesundheit aus.

Anteil der britischen zehnjährigen Kinder des Jahres 1998, die die Kinder gleichen Alters im Jahr 2008 im Lauftest schlagen würden1: 95%

Anteil der deutschen Schüler, die mit Haltungsschäden eingeschult werden2: 30 - 60%

Anteil der Grundschulkinder, die bereits Fettstoffwechselstörungen aufweisen3: 17%

Anteil der deutschen Grundschüler mit überhöhtem Blutdruck2: 8 – 12%

Anzahl der Spiele im Freien, die heutige Kinder beherrschen4: 5-6

Anzahl der Spiele im Freien, die Kinder vor 100 Jahren beherrschten: 100

Abnahme der kardio-vaskulären Fitness bei Kindern weltweit pro Dekade: 5%

[1] Essex University, adc.bmj.com/content/95/1/46, Ten year secular declines in the cardiorespiratory fitness of affluent English children are largely independent of changes in body mass index, 2009

[2] Ketelhut K (2003), Body Mass Index und motorische Fähigkeiten bei Kindern in Abhängigkeit vom sozialen Status in der frühen Kindheit., Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin Bd.10, 2003, 7/8:31.

[3] Uhlenbruck G: in Pape D, Schwarz R, Gillessen H (2001) Gesund-Vital-Schlank: Fettverbrennung, der Königsweg zur dauerhaften Fitness; raus aus der Insulinfalle. Deutscher Ärzteverlag, S. 161-168

[4] Struck P (1998) Netzwerk Schule, Carl Hanser Verlag