Spätes Laufenlernen ist kein Grund zur Sorge

Die Entwicklung von Kindern ist anhand des Zeitpunkts der ersten Schritte nicht ablesbar – und spätes Laufenlernen kein Grund zur Sorge. 

Die ersten Schritte eines Kindes sind etwas ganz Besonderes: unsicher, aufregend, lang ersehnt, Glücksgefühle auslösend – und für manche Eltern auch Anlass durchzuatmen. Immerhin ist die Fähigkeit, Laufen zu lernen, ein wichtiges Indiz für eine gesunde Entwicklung des Babys. Im Durchschnitt ist es nach 12 Monaten so weit. Vergeht mehr Zeit, kommen mit dem Warten auf die ersten Tapser oft auch die Sorgen – zu Unrecht allerdings, wie jetzt eine Studie zeigt, die vom Kinderspital Zürich und der Universität Lausanne1 durchgeführt wurde. Ihr Ergebnis: Kinder, die sich früher aufsetzen bzw. zu laufen beginnen, sind später weder intelligenter noch motorisch geschickter als vermeintliche Nachzügler.

Mehr Gelassenheit, wenn es länger dauert

Während der Langzeitstudie verfolgten die Forscher die Entwicklung von 222 Jungen und Mädchen von den ersten Lebensmonaten an bis in ihre Jugend hinein. Besonders aufschlussreich: Die Altersspanne der ersten Schritte zwischen den Kindern war enorm – zwischen 8,5 und 20 Monaten. Doch ganz gleich, wann genau in diesem Rahmen das Laufen begann: Bewegungs- und Intelligenztests, die während der Kindheit und Schulzeit durchgeführt wurden, ließen keine Zusammenhänge zwischen dem Alter, in dem die Kleinen auf die Beine kamen, und ihren geistigen oder körperlichen Fähigkeiten erkennen. So rät Studienleiter Oskar Jenni vom Kinderspital Zürich Eltern denn auch zu „mehr Gelassenheit, wenn ihr Kind erst mit 16 oder 18 Monaten zu gehen beginnt.“ Erst wenn ein Kind nach 20 Monaten noch nicht gehen kann, sollte der Kinderarzt zu Rate gezogen werden – vorher sind Sorgen unbegründet.

Kinder den Zeitpunkt der ersten Schritte selbst wählen lassen

Grundsätzlich empfiehlt es sich, den eigenen Nachwuchs nicht zu sehr mit anderen zu vergleichen. Der Zeitpunkt der „ersten“ Leistungen ist so individuell wie jedes Baby selbst. Kinder zu Bewegungen zu animieren, die sie noch nicht durchführen können, ist vollkommen unnötig. Eltern sollten zwar anregend wirken, es aber dem Kind überlassen, Bewegungsmöglichkeiten selbst zu entwickeln. Dabei führt der Weg über viele einzelne Stationen, die wichtig sind und darum auch ruhig ihre Zeit in Anspruch nehmen dürfen. Vom Rücken auf den Bauch, auf den Po, auf Hände und Knie zu nicht enden wollenden Krabbelausflügen. All das sind lediglich Vorstufen des Laufens – vom Kind selbst als gerade passend gewählt und genauso wertvoll wie der erste Schritt.

Übrigens: Bis das Laufen richtig gut klappt, ist es im wahrsten Sinne des Wortes ein langer Weg. Eine Studie der Entwicklungspsychologin Karen Adolph von der New York University2 ergab, dass kleine Läufer pro Tag rund 14.000 Schritte zurücklegen und dabei etwa 100-mal umfallen. Eine Mühsal auf den ersten Blick, aber auf den zweiten vor allem auch eine tolle Energieleistung der Kleinen – egal, wann sie beginnt.

Ob Frühstarter oder Spätzünder – wann Kinder die ersten Schritte machen, sagt nichts über ihre spätere Intelligenz oder ihr motorisches Geschick aus.

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So unterstützen Sie die ersten Schritte Ihres Kindes

  • Barfuß oder Antirutschsocken: Die Fußmuskulatur entwickelt sich am besten, wenn die kleinen Füße nicht eingeengt werden. Außerdem kann ein fester Stand ohne Schuhe besser trainiert werden.

  • Ermuntern statt helfen: Ein Spielzeug, das das Kind aus eigener Kraft erreichen will, und ein strahlendes Lachen, wenn es erreicht ist, sind motivierender, als tatkräftiges Stützen oder Aufstellen.

  • Keine Laufhilfen: Fach- und Ärzteverbände wie der BVKJ raten von Laufhilfen generell ab, da sie die natürlichen Bewegungsabläufe des Kindes einschränken und erhebliche Unfallrisiken bergen.

  • Ab und zu ohne Windeln: Eine aktuelle Studie3 zeigt, dass Babys sich mit Windeln ungeschickter bewegen, messbar unsicherer und breitbeiniger gehen sowie häufiger hinfallen. Daher empfiehlt es sich, Windeln hin und wieder wegzulassen und Babys stattdessen einfach abzuhalten, wenn sie mal müssen.

1) Oskar G. Jenni et al. (2013). Infant motor milestones: poor predictive value for outcome of healthy children. Acta Paediatrica 102; 4: e181–e184
2) Karen Adolph et al. (2012). How do you learn to walk? Thousands of steps and dozens of falls per day., Psychological Science 23; 11: 1387
3) Whitney G. Cole et al. (2012), Go naked: diapers affect infant walking, Developmental Science 15; 6: 738–790